Architekturfotografie zeigt in der Regel Architekturen ohne Menschen. Dabei stehen allerdings reine Architekturen im Fokus. Dass unsere lebendie gebaute Umwelt ohne menschliche Nutzerinnen und Nutzer allerdings befremdlich, manchmal verstörend wirken kann, zeigt eine aktuelle Ausstellung im Baukunstarchiv NRW. „ANABWESENHEIT“ nennen acht Architekturfotografen und eine Architekturfotografin aus Nordrhein-Westfalen ihre gemeinsam konzipierte Schau, die ganz unterschiedliche künstlerische Ansätze und Motive zusammenführt.
Prof. Dr. Rolf Sachsse, selbst Fotograf und von 2004 bis 2017 Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Saarbrücken, führte thematisch in die Ausstellung ein. „Die Arbeit von Architekturfotografen wird – wie in der Architektur insgesamt – immer stärker zu einer Gruppenaktivität“, meinte Prof. Sachsse. Zwar sei jede und jeder der vertretenen Architekturfotograf*innen eine starke künstlerische Persönlichkeit, die in der Branche einen Namen habe. „Dieses Gemeinschaftsprojekt aber lässt sie uns in der Interaktion wahrnehmen – und damit neu kennenlernen.“
Wie Stefan Schilling stellvertretend für die Gruppe der Architekturfotografen erläuterte, sei die Corona-Pandemie zwar der Auslöser für die Ausstellungsidee gewesen. Die Fotoserien hätten zum Teil aber schon existiert oder seien zeitgleich unabhängig von dem Ausstellungskonzept entstanden. „Als Architekturfotografen interessiert uns natürlich, wie Mensch und Raum interagieren“, so der Kölner Architekturfotograf. „Unsere Bilder sind aus sehr unterschiedlichen Beweggründen und mit ganz verschiedenen Sichtweisen entstanden. Es verbindet sie aber, dass die Gegenwart oder eben Abwesenheit von Menschen hier ganz bewusst thematisiert wird.“
Das Thema „Corona-Pandemie“ findet sich explizit nur in den Arbeiten von Mario Brand wieder. Er dokumentierte Impfzentren „im klassischen Stil“, wie Prof. Rolf Sachsse erläuterte. „Möglicherweise werden wir in einigen Jahren darauf zurückblicken können. Ein Stück Zeitgeschichte“, so Sachsse.
Ganz abstrakt dagegen die Arbeit „374 Pixel“ von Annika Feuss, die Stadtspaziergänge, die sie in der Zeit der Pandemie unternahm, auflöste in großformatige Pixel-Bilder. „Möglicherweise eine Referenz an frühe experimentelle Arbeiten aus den Zeiten der Computerisierung und der Pixelgrafiken“, kommentierte Prof. Sachsse.
Außergewöhnlich auch die Arbeit von Axel Hausberg: Der Architekturfotograf war mit seinem Atelier an der Ahr von der Jahrhundertflut 2021 betroffen worden und hatte sein Haus samt Bildarchiv verloren. Er stellte in einem digitalen Wechselrahmen Architekturen und Menschen auf Bildern vor, die ihm digital von den Auftraggebern „zurückgegeben“ worden waren.
Jens Kirchner dokumentierte Abrissprozesse, die deutlich machen: „Möglicherweise braucht jede Innovation zuvor einen destruktiven Prozess.“ Die Fotos von Jens Kirchner zeigte „konstruktive Zerstörung, die auf etwas Neues hinweisen“.
Hans Jürgen Landes dagegen zeige in seinen Arbeiten einen „autopoetischen Destruktionsprozess, vielleicht auch einen Wandel“ – mit dokumentarischen Fotos von der Rheinischen Straße in Dortmund.
Einen beobachtenden Ansatz wählte auch Jörg Hempel für seine Serie „Redlight – Architektur von Rotlicht-Vierteln“. Die Bilder zeigen „schroffe und wenig einladende Architekturen, je nachdem heruntergekommen oder provisorisch zusammengeflickt“, berichtet der Aachener Architekturfotograf in seinem Begleittext.
Wollseifen in der Eifel: „Ein verlassener Ort, der heute schon kein ‚lost place‘ mehr ist, weil er eine seltsame Art von Tourismus anlockt.“ Von dieser Beobachtung ausgehend fotografierte Constantin Meyer eine menschenleere Siedlung in der Eifel, die als Truppenübungsplatz genutzt wurde und heute zu einer Geisterstadt geworden ist.
Gespenstisch leer wirken auch die Städte Köln und Regensburg, die Lukas Roth in der Pandemie fotografisch festgehalten hat. „Lukas Roth produziert seit 30 Jahren blitzsaubere Architekturbilder“, kommentierte Prof. Rolf Sachsse die Arbeiten des Wahl-Kölners. Bei seinen Arbeiten für die Ausstellung habe er die Bilder zusätzlich digital „bereinigt“ und etwa Straßenschilder, Werbung, Ampeln und Autos entfernt, so Lukas Roth. „Es ging mir darum, die Menschenleere zu nutzen, um den ursprünglichen Raum wieder zur Geltung zu bringen.“
Stefan Schilling schließlich konzentrierte sich mit seiner Bilderserie zum Mariendom in Neviges ganz auf die Struktur, die Materialität und Ausdruckskraft des außergewöhnlichen Bauwerks von Gottfried Böhm. „Um das Sakrale in der Architekturwirkung deutlich zu machen, muss hier keine Nonne um die Ecke biegen“, sagte Prof. Rolf Sachsse augenzwinkernd auf der Vernissage der Ausstellung.
Letztlich gehe es bei allen Arbeiten von „ANABWESENHEIT“ darum, den Betrachter bzw. die Betrachterin zum Sehen zu verleiten. „Sie müssen die Bilder angucken und komplettieren“, erläuterte der Designprofessor. „Die Kunst findet in den Köpfen der Betrachter statt. Die Kunst ist nur Katalysator für das Denken.“
Die Ausstellung ANABWESENHEIT sei im Baukunstarchiv NRW genau richtig, unterstrich Prof. Wolfang Sonne. Der wissenschaftliche Leiter des Baukunstarchivs verwies auf die umfangreiche Sammlung von Vor- und Nachlässen bedeutender nordrhein-westfälische Architekt*innen und Ingenieur*innen, die das Baukunstarchiv NRW kontinuierlich analysiere und bearbeite. „Architekturfotografie spielt in der historischen Dokumentation eine wichtige Rolle – und sie verändert sich im Gleichklang mit unserer Gesellschaft.“