Dass der berühmte Expressionist Ernst Ludwig Kirchner (1880 – 1938) zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn ein Architekturstudium erfolgreich abschloss, konnten Kulturfreunde bereits im Jahr 2020 in der Ausstellung „E. L. Kirchner: Vor der Kunst die Architektur“ erfahren, die von Christos Stremmenos für das Baukunstarchiv NRW kuratiert worden war. Nach der Erstpräsentation in Dortmund und einer zweiten Station im Geburtshaus des Künstlers in Aschaffenburg (2021) wird die Ausstellung gegenwärtig dort gezeigt, wo Kirchner seine künstlerische Laufbahn als junger Mann begann: In Dresden – genauer gesagt im Zentrum für Baukultur Sachsen (ZfBK), unweit der heutigen TU Dresden, an der Kirchner von 1901 bis 1905 Architektur studierte. – Die Ausstellung kann bis zum 13.05.23 kostenfrei im ZfBK besucht werden.
„Ihre Ausstellung kommt nun gewissermaßen zuhause an“, sagte der Präsident der Architektenkammer Sachsen, Andreas Wohlfahrt, anlässlich der Vernissage am 16. März im Kulturpalast Dresden (in dem auch das ZfBK untergebracht ist) an seinen Amtskollegen Ernst Uhing gerichtet. Der Präsident der Architektenkammer NRW war mit weiteren Vertretern der AKNW nach Dresden gereist, um die kollegial-baukulturelle Zusammenarbeit zwischen Ost und West zu unterstreichen.
Wie alles begann
Ernst Ludwig Kirchner habe in seinen Arbeiten immer wieder starke räumliche Perspektiven gesucht und auch immer wieder Räume, Bauwerke und Landschaften dargestellt, erklärte AKNW-Präsident Ernst Uhing in seiner Ansprache in Dresden. Die Auseinandersetzung mit den Studienarbeiten des Expressionisten sei eine Einladung zur Reflexion darüber, welche Bedeutung auch im heutigen digitalen Zeitalter das Zeichnen mit der Hand und die bewusste Raumwahrnehmung für junge Kreative, insbesondere aber für angehendende Architektinnen und Architekten haben könne. Dass „Studium von studere, also von ‚sich bemühen‘ kommt“, zeigten die umfangreichen Studienblätter, die aus dem Frühwerk Ernst Ludwig Kirchners erhalten seien, so Uhing weiter.
Der Kurator der Ausstellung, Christos Stremmenos vom Baukunstarchiv NRW, verwies darauf, dass der junge Künstler selbst seinen Studienarbeiten so großen Wert beigemessen habe, dass er diese über mehrere Umzüge mit sich führte. 95 Blätter seien dadurch erhalten geblieben, von denen eine Auswahl an Originalen in der Ausstellung präsentiert werden. „Thematisch hat sich Kirchner als Student mit typischen Aufgabenstellungen befasst, wie sie heute auch noch erscheinen können“, führte Christos Stremmenos aus. Allerdings habe Kirchner seine detaillierten Raumzeichnungen farblich-künstlerisch aufgewertet und viele Objekte und Details geplant. Seine Diplomarbeit allerdings – ein Entwurf einer Friedhofsanlage – habe einen außergewöhnlichen Maßstab und verweise bereits auf den Übergang des jungen Architekten zum Künstler. „Viele der Zeichnungen sind schon eher Stimmungsbilder als Architekturzeichnungen.“
Ausbildung als Architekt
Die Ausstellung in Dresden gibt faszinierende Einblicke in Kirchners Ausbildung als Architekt. Zu den im Studium bearbeiteten Aufgaben zählen Wohnhäuser, Ateliers, Hotels und Museen. Im Vergleich etwa mit den repräsentativen und opulenten Entwürfen an der Pariser École des Beaux-Arts wird deutlich, wie sehr die Architekturausbildung in Deutschland alltägliche Bauaufgaben und eine von der englischen Arts and Crafts-Bewegung beeinflusste Kultur des Wohnens in den Mittelpunkt stellte.
In der Wanderausstellung werden drei unterschiedliche Lebensstationen Kirchners an drei Ausstellungsorten in Aschaffenburg, Dresden und Dortmund näher beleuchtet. Im Baukunstarchiv NRW, dem ehemaligen Museum am Ostwall, wurde als erste Station das Wirken und der Werdegang Kirchners an einem seiner ersten wichtigen Ausstellungsorte präsentiert. Anhand der Sammlungsgeschichte des Museums werden Werke Kirchners aus Ankäufen und Ausstellungen gezeigt, die auch in enger Verbindung mit der Baugeschichte des Hauses stehen. Während die Ausstellung im KirchnerHAUSMuseum in Aschaffenburg die Prägungen in seiner Geburtsstadt in den Mittelpunkt stellte, geht die Ausstellung am Standort Dresden insbesondere auf die Verbindung von Kunst und Architektur während seines Studiums ein. Mit seiner 1905 eingereichten Diplomarbeit, dem Entwurf einer monumentalen Friedhofsanlage, schloss Ernst Ludwig Kirchner sein Studium der Architektur erfolgreich ab und beendete gleichzeitig seine Laufbahn als Baukünstler.
Studienzeit in Dresden
Der Präsident der Architektenkammer Sachsen, Andreas Wohlfarth, stellte die besondere Bedeutung der Studienzeit in Dresden für den jungen Ernst Ludwig Kirchner heraus. Kirchner habe hier nicht nur studiert, sondern auch als junger Künstler gearbeitet und viele Werke mit lokalem Bezug erstellt. Auch der Ort der ersten Ausstellung der Brücke-Künstler bestehe bis heute; die damalige Leuchtenfabrik sei heute aber bis zur Unkenntlichkeit durch ein Einkaufszentrum überbaut. Auch sein Wohnhaus in Dresden sei noch erhalten.
Ernst Ludwig Kirchner ging 1911 nach Berlin. Unrühmlich sei die Erinnerung Dresdens an die Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“, in der die Brücke-Künstler geschmäht wurden; die Vorgängerausstellung sei zunächst in Dresden gezeigt worden. „Auch das gehört zur Geschichte einer solchen Ausstellung aus heutiger Sicht“, betonte Wohlfarth.
Die Ausstellung des Baukunstarchiv NRW wird im ZfBK – Zentrum für Baukultur Sachsen in Kooperation mit der Architektenkammer Sachsen und der Galerie Henze & Ketterer, Riehen/Basel und Wichtrach/Bern präsentiert.
„Ernst Ludwig Kirchner. Vor der Kunst die Architektur“; Laufzeit: 17.03.2023 – 13.05.2023 im ZfBK – Zentrum für Baukultur Sachsen im Kulturpalast Dresden (Schloßstraße 2, 01067 Dresden). Öffnungszeiten: Dienstag – Samstag 13.00 – 18.00 Uhr.
Midissage:
Am Dienstag, den 25.4.2023, findet von 19.00 – 20.30 Uhr eine Midissage im ZfBK statt. Informationen finden Sie auch hier: www.zfbk.de
Katalog:
Zur Ausstellung ist ein Katalog in der Schriftenreihe des Baukunstarchivs NRW erschienen: Alexandra Apfelbaum, Wolfgang Sonne, Christos Stremmenos (Hg.): „Ernst Ludwig Kirchner – Vor der Kunst die Architektur“. Mit Beiträgen von Alexandra Henze Triebold, Henrik Karge und Konstanze Rudert. Verlag Kettler, 34 €, Softcover, 20 x 24 cm, 176 Seiten, zahlr. farb. und s/w Abb. ISBN 978-3-86206-803-6
Text: Christof Rose