Zu wenig Wohnungen, zu teure Angebote, veraltete Bausubstanz im Bestand: Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und die Ingenieurkammer-Bau NRW stellten vor diesem Hintergrund in der Veranstaltung „IngenieurImpulse“ am 23. August im Baukunstarchiv NRW die Frage „Wie wohnen wir in der Zukunft?“ Rund 150 Interessierte folgten dem Gedankenaustausch zwischen Architekt*innen, Ingenieuren und dem Feuilletonisten Gerhard Matzig (Süddeutsche Zeitung).

Redner*innen und Diskutanten der Veranstaltung (v.l.): Markus Lehrmann (AKNW), Ralph Erdenberger (WDR), Christoph Spieker (IK-Bau NRW), Judith Kusch (Büro 3pass), Helge Kunz (Gropyus Technologies GmbH) und Gerhard Matzig (Süddeutsche Zeitung). – Foto: Christian Holthausen

Es gibt Themen, zu denen jeder und jede einen persönlichen Bezug hat, meinte Moderator Ralph Erdenberger (WDR) in seinen einführenden Worten. „Wohnen“ gehöre zweifellos dazu. Und das Baukunstarchiv NRW sei als Zentrum der Baukultur ein mehr als geeigneter Ort für den Dialog bzw. zum Austausch von „Impulsen“.

Architekturkritiker Gerhard Matzig weist in seinen Artikeln und Buchpublikationen gerne auf Widersprüche zwischen dem öffentlichen Anspruch an das Wohnen und die persönlichen Verhaltensweisen hin. „Ein Loblied auf das Eigenheim“ heißt ein aktuelles Buch von ihm. Von 19 Millionen Wohngebäuden seien 16 Millionen Einfamilienhäuser: „Die können nicht alle böse sein“, meinte Gerhard Matzig. Wenn der Bestand entwickeln werden solle, müsse man konstruktiv mit dem privaten Eigenheim umgehen. „Wir müssen die vorhandenen Gebäude zukunftsfest machen!“

Matzig sieht zwei Kardinalfehler

Von serieller Planung im Sinne einer ortsunabhängigen Gestaltung hielt der Architekturkritiker wenig. „Qualitätvolle Gebäude müssen auf den Ort und regionale Traditionen reagieren“, so Matzig. Standardisierung und Vereinfachung seien Wege, um Kosten zu reduzieren. Deutschland habe zwei große Fehler gemacht: Die Vernachlässigung des geförderten Wohnungsbaus; und das Ausbluten lassen des ländlichen Raumes.

Die Kölner Architektin und Stadtplanerin Judith Kusch (Büro 3pass) hat schon vielfältige Wohnkonzepte geplant und realisiert. Sie hielt ein Buch zum „Ökologischen Bauen“ hoch, das sie schon 1982 am Ende ihres Studiums verinnerlicht habe. „Wir waren damals in der Öko-Nische des Holzbaus“, berichtete Judith Kusch.

Begeisterung für den Bestand

Eine eindeutige Aussage zur optimalen Wohnform könne es nicht geben, dafür seien Einkommen, Erwartungen und städtebauliche Notwendigkeit innerhalb Deutschlands viel zu vielfältig. Gleichwohl: „Neue Einfamilienhäuser, die freistehen, sollte man nicht mehr ausweisen“, forderte Judith Kusch unter Verweis auf die Notwendigkeit, der Bodenversiegelung Einhalt zu gebieten. Standardisierung sei hilfreich, aber in der Stadt schwierig. „Wir bauen in der Stadt ja im Bestand: mit Aufstockungen, in Anbauten und in Hinterhöfen.“

Judith Kusch berichtete „aus der schnöden Praxis im Gespräch mit Investoren“, dass Holzbau immer noch schwer durchzusetzen sei; und zwar sowohl im kommerziellen Bau als auch bei öffentlichen Investoren, etwa im Schulbau. „Wir müssen die Bauherrschaft gewinnen, sich diese Themen zu eigen zu machen“, warb Judith Kusch. „Entsiegeln, begrünen, dicht bauen, in die Höhe bauen!“

Architekt Helge Kunz von der Gropyus Technologies GmbH befasst sich beruflich seit drei Jahrzehnten mit dem Themenfeld „Holzbau“. Der gelernte Zimmermann zeigte sich überzeugt, dass Nordrhein-Westfalen das größte Potenzial im mehrgeschossigen Holzbau aufweise. „Aufgrund der Größe Ihrer Städte, aber auch auf Grund der Notwendigkeit des Wohnungsbaus“.

Hightech im Holzbau?

Das 2019 auf den Markt getretene Start-up-Unternehmen entwickelt Fertighäuser mit hohem technologischem Standard. „Wir suchen innovative Wohnformen in hoher Skalierung“, erläuterte Kunz. Der Holzbau habe schon immer den Charakter einer Serienproduktion gehabt. Bei Gropyus strebe man an, 70 bis 90 Prozent Techniker zu beschäftigen – und nur wenige Handwerker. „Es gilt, jahrhundertelange Erfahrung im Holzbau aufzuholen und einen neuen Prozess zu gestalten.“ Die Vision von Gropyus sei, die Bauelemente automatisiert im Werk zu produzieren, auf die Baustelle fahren zu lassen und von einem programmierten Kran an die passende Stelle auf der Baustelle platzieren zu lassen.

Anders leben als Verheißung

Gerhard Matzig wünschte sich mehr revolutionäres Denken, vor allem über die Bodenfrage. „Kann der Boden Privatleuten gehören“, fragte der SZ-Feuilletonist. „Wir müssen künftig anders leben: Das ist für mich keine Drohung, sondern ein Versprechen, denn weitere Teile unserer Städte sind nicht attraktiv und lebenswert.“ Auch das Baurecht müsse offener und flexibler werden. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum kein Wohnraum auf Garagen, im Garten und ähnlichem errichtet werden darf. „Auch innerhalb von Häusern lässt sich viel machen. Wir wollen flexibler und klüger Wohnen; die Immobilienwirtschaft ist aber wahnsinnig konservativ und bietet solche Lösungen kaum an.“

Gute Planung geht mit Quantitäten qualitativ um, postulierte Gerhard Matzig. Die Herausforderung für Planung müsse sein, kleinere Flächen so attraktiv zu machen, dass die Menschen sich dort wohlfühlen. „Ich predige nicht Verzicht, sondern dass die Umwelt ein Preisschild bekommt. Erst dann wird sich unser Verhalten verändern.“ Denn all das, was aktuell wieder diskutiert werde, sei ja schon lange bekannt. „Letztlich muss die Verheißung eine machtvolle Vision sein, die die Menschen lockt. Das fehlt gegenwärtig noch.“

Rund 150 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil. – Foto: Christian Holthausen

Erfahrungswissen und Suffizienz

Judith Kusch verwies auf die drei Forschungshäuser von Prof. Florian Nagler; drei baugleiche Wohnhäuser aus Blähbeton, Mauerwerk und Vollholz. Das Ergebnis habe gezeigt, dass traditionelle Bauweisen – hohe Räume, kleine Fenster, massive Außenwände – sich bewährten. Auch Helge Kunz wünschte sich ein Umdenken. Suffizienz, unbeheizte Schlafräume, weniger Fläche – all das sei möglich und könne das Bauen schlanker und kostengünstiger machen.

Impulse der Baukammern

Welche zentralen Forderungen erheben die nordrhein-westfälischen Baukammern, damit der Wohnungsbau im Lande quantitativ vorangebracht werden kann, ohne qualitativ überzogene Abstriche zu machen?

Markus Lehrmann, Stadtplaner und Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, setzte in seinem Statement auf Anreizsysteme und Gestaltungsfreiheit für die Baupartner. „Wohnen ist spätestens dann eine öffentliche Aufgabe, wenn es darum geht, die Wohnraumversorgung für sozial schwächer Gestellte sicher zu stellen“, unterstrich der Hauptgeschäftsführer der AKNW.

Für die Ingenieurkammer-Bau NRW, Gastgeberin der „IngenieurImpulse 2023“, müssen die Rahmenbedingungen den strategischen, gesellschaftlichen Zielen angepasst werden. „Der Gebäudetyp E ist ein guter Weg, um Neues zu probieren und Impulse in den Wohnungsmarkt zu senden“, sagte Christoph Spieker.

Markus Lehrmann ergänzte, dass die Regeln reduziert werden müssten. „Wohnungsbauten der Nachkriegszeit haben einen extrem niedrigen Standard, sind heute aber in unseren Großstädten sehr beliebt. Wir brauchen dringend eine Diskussion über die Standards.“ Zudem verwies er darauf, dass die Baukammern eine CO₂-Bilanz als verpflichtenden Nachweis für die Bauantragstellung vorgeschlagen haben. „Dann ist das Preisschild für die Umwelt drauf. Das ist ein notwendiger Schritt der anstehenden Transformation“, so Lehrmann.

Redner*innen der Veranstaltung waren u.a. (v.l.): Judith Kusch, Gerhard Matzig, Helge Kunz.- Fotos: Christian Holthausen

Text: Christof Rose