Eine auf das Gemeinwohl ausgelegte Bodenvorratspolitik ist in vielen Kommunen mangels Baulandflächen oft nicht mehr möglich. Dabei sichert genau eine solche, vorausschauende Planung bezahlbares Wohnen, lebenswerte und klimagerechte Quartiere sowie eine nachhaltige grüne Infrastruktur. Wie kann der Zugriff auf den begrenzt zur Verfügung stehenden Boden als Grundlage für eine nachhaltige Stadtentwicklung erleichtert werden? Welche Chancen und Möglichkeiten bietet gemeinwohlorientierte Bodenpolitik? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt des Fachkongresses „Chancen einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik“, zu der die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen am 30. November gemeinsam mit Partnern in das Baukunstarchiv NRW nach Dortmund eingeladen hatte.
„Die Frage, wo und wie Land zum Bauen zur Verfügung gestellt werden kann, ist eine elementare, eine im Kern soziale Frage“, formulierte AKNW-Präsident Ernst Uhing. Er lenkte den Blick zum Einstieg in die Debatte auf das Problem, dass die Kommunen vielfach ihre Rolle als Bauherren verloren haben; „oft aus finanziellen Gründen“, so Uhing. Es gebe zwar Regelwerke und Möglichkeiten, mit denen Städte und Gemeinden wieder in diese Rolle zurückfinden und auch Bauland aktivieren könnten. Doch dieser Weg müsse bewusst und aktiv beschritten werden, forderte der Präsident der größten deutschen Architektenkammer: „Die Kommunen müssen wieder zu Bauherren werden. Und hierzu muss eine Entschuldung umgesetzt werden.“
Der Fachkongress, zu dem etwa 120 Akteurinnen und Akteure aus der Planungsbranche, aus Kommunalpolitik und Verwaltung zusammentrafen, knüpfte an ein zweiteiliges Online-Seminar der Akademie der Architektenkammer NRW an, das Instrumente einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik und ihre Umsetzung in der kommunalen Praxis beleuchtet hatte. Nun ging es darum, den aktuellen Stand und Erfahrungen in der gemeinwohlorientierten Bodenpolitik theoretisch und praktisch zu diskutieren. Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Forschung, aus Planungsämtern und Stiftungen berichteten von ihrer Arbeit.
Urbane Obsoleszenzen
Dein Einstieg machte Prof. Stefan Rettich aus dem Fachgebiet Städtebau der Universität Kassel. „Boden ist ein knappes Gut, und ein knappes Gut führt zu Spekulation“, sagte er. Ideal sei es, wenn Boden in der öffentlichen Hand ist. Gleichzeitig betonte er die Funktion von Boden mit Blick auf den Klimaschutz. „Je mehr Boden wir versiegeln, desto schädlicher ist das.“ Grundsätzlich plädierte Rettich dafür, auch in der Aktivierung von Boden den Blick nach innen zu wenden. Nur auf den ersten Blick gebe es für die Innenentwicklung zu wenig Grundstücke. Seine Lösung: „Urbane Obsoleszenzen“. Dies sind Flächen, die im Zuge von Verkehrswende, Digitalisierung und des religiösen Wandels neue Potenziale für die Stadtentwicklung bieten.
Eine Studie der Uni Kassel macht hier Kauf- und Warenhäuser, Bankfilialen, Gewerbe- und Bürogebäude, Tankstellen, Autohäuser und Kirchen als anstehende, neue städtische Transformationsfelder aus. Rettichs Rat: Kommunen müssten hierzu Daten aufbauen und diese nutzen, um solche „Obsoleszenzen“ rechtzeitig zu erkennen. „Dann könnten sie sich hier engagieren und rechtzeitig kaufen. Am Anfang werden solche Flächen recht uninteressant sein, weil es keine Erfahrung gibt.“ Der Markt sei grundsätzlich träge.
Erbbaurecht neu entdecken
Wie notwendig solche Aussichten sind, zeigte der Vortrag von Mona Gennies von der Montag Stiftung für Urbane Räume in Bonn. Die Referentin für Gemeinwohl zitierte Studien, nach denen 35 % der Kommunen keine Bodenvorratspolitik betreiben. Nur 15 % der Kommunen geben an, dass sie über ausreichend eigene, kommunale Flächen verfügten. Ihr Fazit: Kommunen müssen dringend Boden mobilisieren. Nur wie?
Gennies nannte Instrumente wie das preislimitierte Vorkaufsrecht oder Innenentwicklungsmaßnahmen mit Bauverpflichtung als Möglichkeiten. Der Bodensicherung diene das Erbbaurecht. „Es ist die Grundlage der gemeinwohlorientierten Stadtteilentwicklung. Es ermöglicht Eigentümerinnen und Eigentümern, das Grundstück für gemeinwohlorientierte Entwicklung zu vergeben, ohne es zu verkaufen“, so Gennies. Generell müsse das Schaffen von Baurecht wieder mehr an Bedingungen geknüpft. Ein Weg dazu seien Konzeptverfahren, also die Vergabe von Grundstücken nach bestimmten Kriterien. „So entstehen Impulsorte für die Nachbarschaft, neue und innovative Antworten auf Fragen der Stadtteilentwicklung.“
Haltung zur Bodenfrage
An der Schnittstelle zwischen kommunalem Liegenschaftsmanagement und Forschung ist Stadtplaner Dr. Egbert Dransfeld vom Dortmunder Institut für Bodenmanagement tätig. Er rief den Anwesenden zu: „Das wichtigste ist: Haltung!“ Es brauche eine tiefe gesellschaftspolitische Diskussion und einen Konsens darüber, dass Bodenpolitik ein wichtiger Teil kommunaler Verantwortung ist, so Dransfeld. Die Kommunen müssten wieder zu Akteuren am Bodenmarkt werden. Das bedeute: „Grundstücke kaufen, sie nutzbar machen, sie verkaufen – und so die Wertschöpfung mitnehmen.“ Parallel wagte auch er den Blick in die Praxis und zeigte Instrumente auf, mit denen die kommunale Stadtplanung ein aktiver Teil des Bodenmarktes werden kann. Darunter rechtliche Instrumente vom Vorkaufsrecht bis hin zur restriktiven Umsetzung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen, etwa über strengere normative Vorgaben oder Umlegungsverfahren. „Dazu braucht es politischen Willen, finanzielle Mittel, eine personelle Ausstattung – Haltung eben“, so Dransfeld.
„Ulmer Modell“
Als Akteure aus der Praxis berichteten der Leiter des Düsseldorfer Stadtplanungsamtes, Kai Fischer, die Leiterin des Amtes für Wohnungswesen der Stadt Frankfurt, Katharina Wagner, sowie der Baubürgermeister der Stadt Ulm, Tim von Winning. Sie zeigten kommunal erprobte Lösungswege auf, die sie in der Bodenfrage beschreiten. Besonders beeindruckte dabei das Ulmer Modell. Es basiert darauf, dass die Stadt das Bauplanungsrecht sehr gezielt anwendet, um Ziele der Stadtentwicklung zu erreichen. Bestimmte Vorhaben werden dabei auch untersagt. „Bei Neubaugebieten gehen Bebauungspläne nur dann ins Verfahren und werden nur dann rechtskräftig, wenn die Stadt alle Grundstücke besitzt“, erläuterte Tim von Winning. Eine weitere Säule sei das Ulmer Wiederkaufsrecht. Danach dürfen Unbebaute, ehemals stadteigene Flächen niemals an Privat weiterverkauft werden. So ist die Stadt Ulm eine zentrale Akteurin auf den Bodenmarkt geblieben. Hierzu gebe es einen politischen Konsens über ein festes jährliches Budget zur Bodenbevorratung in Höhe von 10 % des Haushaltsvolumens, erläuterte von Winning. „Unser Handeln ist darauf ausgerichtet, die Spekulation mit unbebautem Boden zu vermeiden. Wir halten Bau- und Bodenpreis so seit Jahrzehnten stabil und bezahlbar.“
Boden: Vom Spekulationsobjekt zur Gemeinwohlfaktor
Neben den Akteuren aus Wissenschaft und Verwaltung erläuterten Architektin Dr. Sabine Horlitz von der Stadtbodenstiftung Berlin und Jörn Luft von der Stiftung trias Modelle, die es ermöglichen, Boden der privaten Spekulation zu entnehmen und dem Gemeinwohl zuzuführen. Das Grundprinzip: Die Trennung von Boden und Gebäude über das Erbbaurecht, mit dem die Stiftungen häufig genossenschaftliche Projekte stützen. Dahinter stehe auch die Idee, eine direkte Mitbestimmung über die Nutzung von Boden zu ermöglichen, indem die Nutzer*innen selbst entscheiden könnten, so Dr. Horlitz.
„Die sozial gerechte Wohnwende ist alternativlos“, formulierte AKNW-Vorstandsmitglied und Stadtplaner Rolf-Egon Westerheide, der die Veranstaltung im Baukunstarchiv NRW moderierte. Angesichts der fortlaufenden Entwicklung müsse man die Frage stellen, ob die aktuell so praktizierten bodenpolitischen Maßnahmen wirksam genug seien. Gemeinsam mit AKNW-Präsident Ernst Uhing kündigte Westerheide an, dass die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen die Thematik weiterverfolgen wird.
Text: