Städtebau-Handbuch des Architekten Peter Grund erscheint über 80 Jahre nach seiner Entstehung: Verstreute Fragmente eines Buchs mit dem Titel „Der Maßstab im Städtebau“ konnten jetzt im Rahmen eines gemeinsamen DFG-Forschungsprojekts von TU Dortmund, FH Dortmund und Philipps-Universität Marburg zusammengeführt, rekonstruiert und als erster Band einer dreibändigen Werkmonografie in der Reihe des Baukunstarchivs NRW veröffentlicht werden. Das Herzstück, brillant detaillierte Zeichnungen, waren durch Erbstreitigkeiten zwischenzeitlich sogar auf der Müllkippe gelandet – Glück für die Nachwelt, dass sie gerettet und in den Bestand das Baukunstarchivs NRW überführt werden konnten.
Völlig überraschend hat sich nun im Nachlass des Pfarrers Paul Girkon im landeskirchlichen Archiv der evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld das Manuskript eines Städtebau-Handbuchs erhalten. Das Werk mit dem Titel „Der Maßstab im Städtebau“ ist in den Kriegsjahren 1942 bis 1944 in Zusammenarbeit mit Girkon entstanden, der als Autor zahlreicher Schriften ein idealer Partner für den im Schreiben ungeübten, aber ambitionierten Städtebautheoretiker Peter Grund war. Der in Bielefeld überlieferte Textteil konnte mit Hilfe von weiteren Funden – 420 städtebaulichen Plänen und rund 400 Fotos, die zwischenzeitlich aufgrund von Erbstreitigkeiten auf einer Darmstädter Müllkippe gelandet waren und nun im Teilnachlass Grunds im Baukunstarchiv NRW verortet sind – rekonstruiert werden. Dies geschah im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 2017 bis 2021 geförderten Forschungsprojekts, bei dem die Fachhochschule Dortmund, die Technische Universität Dortmund und die Philips-Universität Marburg zusammenarbeiteten – in Kooperation mit dem Baukunstarchiv NRW, dem Stadtarchiv Darmstadt und dem Architekturmuseum der Technischen Universität München, die weitere Nachlassteile Grunds verwahren.
Dortmund, Düsseldorf, Darmstadt – drei Orte, drei politische Systeme, drei Karrieren
Peter Grund (1892 – 1966) war kein Unbekannter, sondern seinerzeit ein erfolgreicher Architekt und Städtebauer. Ausgebildet in Darmstadt gegen Ende des Deutschen Kaiserreichs, war er während der Weimarer Republik in Dortmund Büropartner des Architekten Karl Pinno. Unmittelbar zu Beginn des „Dritten Reichs“ wurde Grund zum Direktor der Kunstakademie Düsseldorf berufen, wo ihm 1935 die künstlerische Oberleitung der „Reichsausstellung Schaffendes Volk“ übertragen wurde, eine 1937 eröffnete große Propagandaschau des Nationalsozialismus mit einer zugehörigen Mustersiedlung. In der Bundesrepublik Deutschland war Peter Grund schließlich als Oberbaudirektor für den Wiederaufbau von Darmstadt verantwortlich, wo er mit den Arkaden der Rheinstraße und dem platzbildenden Kennedyhaus markante Stadträume schuf.
Gegenstimme zu den megalomanen Planungen des Nationalsozialismus
Das hier nun vorliegende Handbuch ist zwar unvollendet geblieben. Doch da der Schwerpunkt von Anfang an nicht auf der textlichen, sondern auf einer bildlichen Darstellung lag, ist dieses Städtebau-Handbuch trotzdem von hoher Aussagekraft. Das rekonstruierte Städtebaumanual macht deutlich, dass Peter Grund in der Nachfolge von Camillo Sitte pointiert eine Position der geschlossenen Stadtraumbildung im menschlichen Maßstab vertrat, mit der er in diametralem Gegensatz zu den zeitgenössischen, megalomanen Planungen des Nationalsozialismus stand. Mit seiner Betonung der städtebaulichen Form vertrat er eine Gegenposition zu der zeitgleich entstandenen funktionalistischen „Charta von Athen“.
Renate Kastorff-Viehmann, Wolfgang Sonne, Jörg Stabenow (Hg.): Der Architekt Peter Grund und die Tradition in der Moderne.
Band 3, Edition: Peter Grund, Der Maßstab im Städtebau. Die Stadt als Raum.
Bearbeitung: Ute Reuschenberg, Wolfgang Sonne. Verlag Kettler, Dortmund 2024.
Softcover, 240 Seiten; 20 x 24 cm; Preis: 34 Euro.
Link zum Verlag mit Blick ins Buch: www.verlag-kettler.de
Die vorliegende Publikation ist Teil einer in den kommenden Monaten erscheinenden dreiteiligen Werkmonographie. Ein Essay-Band (Band 1) mit dem Titel „Der Architekt Peter Grund und die Tradition in der Moderne“ (Hrsg.: Renate Kastorff-Viehmann, Wolfgang Sonne, Jörg Stabenow) sowie ein dazugehöriger Werkkatalog (Band 2) werden im Herbst 2024 erscheinen.