Während der Laufzeit von drei Monaten begeisterte die Ausstellung „Heinrich Tessenow“ im Baukunstarchiv NRW insgesamt 1300 Besucherinnen und Besucher. Die Werkschau war vom Schweizer Architekten Prof. Martin Boesch in jahrelanger Forschungsarbeit für die Accademia di Architettura in Mendrisio entwickelt worden und in Dortmund vom 15. März bis zum 23. Juni zu sehen. Durch Zeichnungen, Modelle, Fotografien und Bücher ließ der Ausstellungskurator das Werk des bedeutenden Architekten der Moderne in seiner Vielfalt lebendig werden. Welche neuen Erkenntnisse zum Leben und Werks Tessenows vorliegen, diskutierte das Symposium „tesseNOW“ am 21. Juni im Baukunstarchiv (BKA NRW).
„Tessenow liebte das Alte und das Neue“, beschrieb Prof. Dr. Wolfgang Sonne, wissenschaftlicher Leiter des BKA NRW, das Grundverständnis der Arbeit Heinrich Tessenows (1876 – 1950), der als einer der Vordenker im Deutschen Werkbund gilt. Sonne gab einen Überblick über die Bezüge zwischen Tessenow und den Architekturepochen zwischen Traditionalismus und Futurismus. Exemplarisch untersuchte der Architekturhistoriker an Tessenows Schauspielhaus in Hellerau die Einflüsse der Moderne.
Planen und Bauen
Heinrich Tessenow war „ein Liebhaber der Kleinstadt“, führte Dr.-Arch. Giacomo Calandra di Roccolino (FH Potsdam) aus. Dies sei am Beispiel der ersten deutschen Gartenstadt in Hellerau gut abzulesen. Tessenows Stadtideal sei die Kleinstadt mit 20 000 bis 60 000 Einwohnern gewesen. Jedoch habe er mit einigen seiner Projekte bewiesen, dass er auch für die Großstadt planen konnte.
„Tessenows Denken und Wirken war von einer großen Bandbreite geprägt“, erklärte Ausstellungskurator Prof. Martin Boesch. Die Ausstellung in Dortmund habe dies an unterschiedlichen Werken deutlich gemacht: Im Lichthof waren „Projekte für die Stadt“ zu sehen, während im oberen Umlauf des Baukunstarchivs Stücke zum Themenfeld „Tessenows Häuser“ sowie Beispiele zum Thema „Bauen in der Landschaft“ präsentiert wurden.
Boesch fokussierte im Rahmen des Symposiums auf das Thema „Der städtische Tessenow“ und stellte dazu Entwurfsbeispiele dar, so den Wettbewerb zur „Malwida-von-Meysenburg-Schule“ in Kassel (1927 – 1930). Hier zeigte sich eindeutig: „Tessenows dachte in seinen Planungen und Projekten neben dem Hochbau auch städtebauliche Aspekte sowie an Themen der Landschaftsarchitektur mit“; beispielsweise in Form einer großzügigen Parkanlage.
Zeichnungen, Möbel und Schriften
Neben Projektmodellen wurden in der Werkschau auch Zeichnungen sowie Möbelstücke ausgestellt, die teilweise von den Besucher*innen genutzt werden konnten. Ein Tisch mit Sitzmöglichkeiten stand im Zentrum der Ausstellung. „Sowohl Möbel als auch Zeichnungen waren charakteristisch für Tessenows Arbeiten“, führte der Architekturwissenschaftler Adolph Stiller aus. Auch verschiedene Verwendungszwecke und die Umnutzung von Möbelstücken habe der Architekt schon früh bedacht. „Alles kam aus einer Überlegung des Materials.“
Heinrich Tessenow selbst habe Möbel entworfen, zahlreiche Zeichnungen angefertigt und Schriften zu verschiedenen architektonischen Überlegungen hinterlassen.
Tessenow früher und heute
Wie prägt uns Tessenows Wirken noch heute? Dieser Frage gingen beim Symposium Theodor Böll (Heinrich Tessenow-Gesellschaft) und Prof. Wouter Suselbeek (TU Dortmund) nach. Theodor Böll berichtete aus der Arbeit der „Heinrich Tessenow-Gesellschaft“, die auch die „Heinrich Tessenow – Medaille“ verleiht. Die Medaille wird an Personen verliehen, die Hervorragendes in architektonischen, handwerklichen und industriellen Arbeiten geleistet haben, oder deren Wirken dem vielseitigen Lebenswerk Heinrich Tessenows entspricht. In diesem Jahr wurde die Auszeichnung – im Rahmen der Ausstellung in Dortmund – in einer feierlichen Zeremonie an die slowenische Architektin Maruša Zorec verliehen.
Dass Heinrich Tessenow für junge, angehende Architektinnen und Architekten noch interessant ist, betonte Wouter Suselbeek. An den Hochschulen werde weiterhin über seine Arbeit gsprochen; er selbst habe Forschungsarbeiten mit seinen Studierenden zu Tessenow unternommen, so Prof. Souselbeek. „Für mich sind die Einfachheit, das Handwerk und das Persönliche in Heinrich Tessenows Werken von besonderer Bedeutung.“
Einfluss auf die Lehre
Auch Jurjen Zeinstra nimmt mit seinen Studierenden an der TU Delft die Werke von Heinrich Tessenow regelmäßig in den Fokus. Er sei sicher, dass Tessenows Wirken bis heute auch in die Lehre ausstrahle.
Kunsthistoriker Dr. Christian Welzbacher und Architekturtheoretiker Prof. em. Hartmut Frank sprachen im Rahmen der Veranstaltung Ende Juni auch über Tessenows Wirken zu verschiedenen Zeiten, so zu seinen Arbeiten in der Weimarer Republik. Zahlreiche weitere Bauwerke, Planungen und weiterführende Informationen zu Tessenows Lebenswerk können auch in der Publikation „Heinrich Tessenow. Annäherungen und ikonische Projekte“ von Martin Boesch eingesehen werden (Deutsche Ausgabe bei Edition Hochparterre, Zürich).
Theodor Böll von der Heinrich Tessenow-Gesellschaft resümierte zum Schwerpunkt „Tessenow“ im Baukunstarchiv NRW: „Dieses Symposium, die Ausstellung und die Publikation zeugen davon, dass Tessenow heute noch lebendig ist.“
Die Ergebnisse der Werkschau können auch nach ihrer Laufzeit in Dortmund weiterhin entdeckt werden: Berichte, Fotos und ein Ausstellungsvideo sind hier abrufbar.
Text: Melina Beierle, 08.07.2024
Fotos: Detlef Podehl